Das Gezuckel bis zur nächsten Überholmöglichkeit erträgt die Yamaha XSR 900 mit einem leicht widerwilligen Knurren – wie jemand, der vor Ungeduld von einem Fuß auf den anderen tritt, verleitet sie ihren Fahrer dazu, sich in unübersichtlichen Passagen mal etwas zurückfallen zu lassen, dann wieder einen kurzen Zwischenspurt einzulegen, sprich, ihr Gewicht mal aufs Vorder-, mal eher aufs Hinterrad zu verlagern. Es ist dem Autor wohl bewusst, dass die Yamaha XSR 900 explizit gar nichts von ihm fordert und er viel von seiner eigenen Ungeduld in sie hineinprojiziert. Aber so unaufgeregt, wie Fahrer mit der Kawasaki Z 900 RS über solche Situationen hinwegcruist, so gelassen gelingt es auch ihm, als später die Maschinen getauscht werden. Motorräder unterschiedlichen Charakters wirken unterschiedlich auf die Psyche ihrer Fahrer.
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Kawasaki Z 900 RS-Vierzylinder: dezent, aber fett
Man kann die verschiedenen Charaktere der Kawasaki Z 900 RS und der Yamaha XSR 900 sogar am Klang ihrer Motoren hören. Der Kawa-Vierzylinder klingt dezent, aber im besten Sinne fett. Er verströmt jene Art von Überfluss, die einem Gelassenheit beschert. Dafür spricht auch die füllige Drehmomentkurve, die von 4.000 bis 8.500/min stets um die 90-Newtonmeter-Marke spielt und in einem beeindruckenden Maximum von 95 Nm bei ausgeruhten 7.200/min gipfelt.
Yamaha XSR 900-Dreizylinder: trockener, fast heiser
Der Yamaha-Dreizylinder klingt trockener, fast ein wenig heiser. Er hat weniger Hubraum als der Kawa-Vierzylinder, entwickelt aber mehr Spitzenleistung bei einer deutlich höheren Drehzahl. Dementsprechend strebt er auch sehr ambitioniert nach höheren Drehzahlen. Moderate Drehwinkel am Gasgriff setzt er offensichtlich in große Öffnungswinkel der Drosselklappen um. Zwar spricht der Dreizylinder in der aktuellen Ausführung längst nicht mehr so harsch auf Lastwechsel an wie seine Vorgänger, doch die gut angefettete Geschmeidigkeit des Kawa-Vierzylinders steht ihm nicht zu Gebot.
Wahrscheinlich liegt darin auch der Grund dafür, dass die yamaha XSR 900 trotz der höheren Spitzenleistung bei höheren Drehzahlen und trotz der deutlich kürzeren, den Durchzug fördernden Gesamtübersetzung weniger Benzin verbrennt als die Kawasaki Z 900 RS. Sie fordert und unterstützt mehr Fahrdynamik, geht dabei aber sehr sparsam mit dem Sprit um. Das drohende Dilemma zwischen Dynamik und Spritverbrauch haben die Yamaha-Ingenieure in vorbildlicher Weise aufgelöst.
Fahrverhalten der beiden Retro-Bikes
Diesem erfreulichen Widerspruch zwischen Theorie und Praxis kommt ein weiterer im Hinblick auf das Fahrverhalten gleich: Die Yamaha zeichnet sich durch eine eher konservative Fahrwerksgeometrie aus – bei gleichem Lenkkopfwinkel hat sie einen längeren Radstand und Nachlauf als die Kawasaki –, trotzdem wirkt sie agiler als die Kawasaki. Die Yamaha XSR 900 lenkt auf einen leichten Lenkimpuls ein und lässt sich in Wechselkurven zackig von einer Schräglage in die andere werfen.
Damit ist nicht gesagt, dass die Kawasaki ein träges Motorrad wäre. Genauer beschreibt auch beim Thema Lenkeigenschaften der Ausdruck "gelassen" das, was der Fahrer fühlt. Die Kawasaki Z 900 fordert nicht, stachelt nicht an, sondern reagiert wohlwollend auf das, was der Fahrer von ihr fordert. Das hat höchstwahrscheinlich mit ihren 21 Kilogramm zu tun, die sie mehr wiegt als die Yamaha. Sie wirken wie ein Massedämpfer, der überschießende Temperamentsäußerungen moderiert. Jedenfalls stimmen hier Messwert und Fahrgefühl überein.
Weniger Komfort auf der Yamaha XSR 900
Die Yamaha XSR 900 hat ihr Fahrwerk mitsamt den Federelementen von der Tracer 9 übernommen. Also von einem Crossover-Motorrad, das auch Langstreckentauglichkeit und Zweipersonenbetrieb mit Gepäck zu seinem Einsatzspektrum zählt. Wohl deshalb wirkt die Hinterhand der leichten, eher den sportlichen Solofahrer ansprechenden XSR-Variante fast schon ungebührlich hart gefedert und straff gedämpft. Der Federungskomfort, den sie bietet, entspricht längst nicht dem, den man bei reichlich bemessenen 137 Millimetern Federweg erwarten darf. Und eine Möglichkeit, die Druckdämpfung etwas weniger straff einzustellen, bietet das Federbein nicht. Hinzu kommt, dass sich die Polsterung des Fahrersitzes nur unwesentlich von einem nackten Brett unterscheidet. Wohl demjenigen Fahrer, der seine Gesäßmuskulatur auf spartanischen Fahrradsätteln trainiert hat. Auch die Gabel übermittelt die Kontur ausgeprägter Bodenwellen nahezu originalgetreu, selbst wenn die Druckdämpfung am linken Holm weit zurückgenommen wird.
Ganz anders die Kawasaki: Obgleich auch das Öhlins-Federbein der SE-Version nur in Federvorspannung und Zugstufe einstellbar ist und sich die Gabel in der Hardware nur unwesentlich von derjenigen der Yamaha unterscheidet, schiebt sie sich über, beinahe könnte man sagen, durch die Wellen – wie eine klassische Rennjacht.
Das hat nicht unbedingt etwas mit dem Markennamen Öhlins zu tun, das ist einfach eine zielgenau getroffene, weil zum Charakter des Motorrads passende Abstimmung. Auch die Yamaha geht in diesem Punkt in die zu ihr passende Richtung, nur eben etwas zu weit. Die Devise "Hart ist sportlich" wurde hier ein wenig übertrieben. Man darf gespannt sein, wie die neue Yamaha XSR 900 GP (siehe Video über diesem Absatz) mit ihrem voll einstellbaren Federbein dämpft und federt. So viel ist schon mal klar: Sie nimmt stilsicher die Erscheinung der Yamaha-Rennmaschinen aus den glorreichen 90er-Jahren auf.
Retro-Bike Kawasaki Z 900 RS absolut stilsicher
Was die Stilsicherheit betrifft, mit der an große Vorbilder angeknüpft wird, hat die Kawasaki ihre Rundscheinwerfer-Nase weit vorn. Doch egal, wie treffend die eine und die andere von ihrer jeweiligen Marketing-Abteilung positioniert wird, egal, ob die eine sportlicher, die andere komfortabler ausgelegt ist, die eine in Gelb-Schwarz, die andere in Metallic-Blau erstrahlt – wer ein gutes Retro-Bike in dieser Klasse sucht, macht mit beiden einen guten Fang.